Hörgeräte LANGERNewsAktuelles„Ich musste von Null anfangen“

„Ich musste von Null anfangen“

HÖRENSAGEN, Folge 8: Flucht ins Glück

In unserer Rubrik HÖRENSAGEN berichten Kolleginnen und Kollegen – ob besonderer Werdegang, spannende Geschichte oder interessante Einblicke. Heute: Sarah. Mit 18 Jahren flüchtete sie 2015 aus ihrer syrischen Heimat ins ferne Deutschland. Heute, neun Jahre später, kann sie nicht nur einwandfrei Deutsch sprechen – sie hat ihre Ausbildung als Hörakustikerin abgeschlossen, sich zur Meisterin weitergebildet und so ein neues Leben aufgebaut. Im Gespräch verrät sie unter anderem, wie ihr die Kolleg*innen geholfen haben und wie sie trotz anstrengender Flucht nie die Kraft verloren hat.

Liebe Sarah, zuallererst: Herzlichen Glückwünsch – seit ein paar Wochen bist du Hörakustikmeisterin, hast die Prüfung erfolgreich abgelegt. Wie groß ist die Erleichterung?
Sarah:
Vielen Dank. Ja, die Erleichterung ist schon sehr groß, so ganz kann ich es noch nicht realisieren. Es war ein langer, sehr langer Weg und auch wirklich anstrengend. Ich hatte lange kein freies Wochenende und keinen richtigen Urlaub mehr – etwa seit zwei Jahren. Aber es hat sich wirklich gelohnt.

Du bist erst seit neun Jahren in Deutschland, seit 2019 hast du jetzt eine Ausbildung und sogar die Weiterbildung zur Meisterin geschafft. Ist dir bewusst, wie beeindruckend das ist?
Sarah:
Die Ausbildung war für mich sehr wichtig, schon immer. Es war neben der Sprache der zweite Grundstein, um mir hier mein Leben aufbauen zu können. Manchmal habe ich mir gedacht, es hätte sogar noch schwieriger sein können. Aber man muss immer etwas tun für sein Glück und einfach machen, die Ergebnisse kommen von selbst.

Du bist 2015 aus Syrien nach Deutschland geflüchtet. Möchtest du uns erzählen, wie es dazu kam und wie die Flucht ablief?
Sarah:
Der Krieg in Syrien begann 2011, ich bin 2015 dann volljährig gewesen. Für mich wäre es sehr gefährlich gewesen, dort zu bleiben. Also habe ich den bekannten Weg von Syrien nach Europa auf mich genommen. Es war sehr schrecklich, ich war 18 Jahre alt und zwei Monate unterwegs. Aber es gab für mich und viele andere keine andere Wahl. Ich bin direkt nach Baden-Württemberg gekommen. Hier in Deutschland war alles anders. Aber mit der Zeit gewöhnt man sich daran. Es war mir von Anfang an wichtig, hier ein neues Leben aufzubauen – auch wenn ich von Null anfangen muss.

Nach deiner Ankunft in Deutschland hast du schnell auch als Übersetzerin gearbeitet, dabei sicher viele Schicksale und Erfahrungen mitbekommen und geteilt. Wie sehr hat dich diese Flucht und die Zeit danach geprägt?
Sarah:
Ich habe oft nur für Frauengruppen übersetzt, zum Beispiel auch in Seminaren. Dabei habe ich viele Geschichten gehört, natürlich. Das hat mich aber umso mehr motiviert, meinen Weg zu gehen und mich darin gestärkt, nicht schwach zu werden.

Wenn man jetzt mit dir redet, hört man kaum sprachliche Probleme – wie kommt es, dass dir Deutsch so leicht fällt?
Sarah:
Ich habe 2016 angefangen, Deutschkurse zu nehmen, habe das höchstmögliche Niveau erreicht. Aber als ich 2019 die Ausbildung angefangen habe, habe ich gemerkt: Es gibt einen Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Das war nochmal eine komplett andere Sprache. Meine Kollegen haben mir sehr geholfen. Wir haben Filmabende gemacht, Filme und Serien auf Deutsch geschaut. Sie haben mir dann auch erklärt, welche Bedeutung ein Satz hat und wann man diesen sagt oder verwendet. Sie haben mir Bücher ausgeliehen – das Lesen hat sehr geholfen.

Baden-Württemberg ist mitunter auch für unterschiedliche Dialekte bekannt, das macht es sicher nicht leichter.
Sarah: Schwäbisch ist für mich mittlerweile einfacher zu verstehen, einige Kundinnen und Kunden sprechen aber auch extra Hochdeutsch. Andere Dialekte sind dann schon schwieriger.

Mit 18 Jahren bist du nach Deutschland gekommen – hattest du schon Berührungspunkte mit der Sprache?
Sarah:
Ganz ehrlich? Ich wusste nicht einmal, dass es eine deutsche Sprache gibt. Ich dachte, alle sprechen englisch! Aber man muss mit den Leuten reden, man kann nicht immer alles übersetzen. Die Sprache zu lernen, das geht nur über Kontakte und Kommunikation.

Du hast in Syrien schon Pharmazie studiert, auch hier ein Studium der VWL begonnen: Wieso dann doch der Wechsel in die Hörakustik?
Sarah:
In Syrien kann man sich nur per Studium weiterbilden – und nur so findet man ordentliche Arbeit. Diese Einstellung habe ich mitgebracht. Das Studium war für mich von Anfang an wichtig, über ein Stipendium konnte ich beginnen. Nach kurzer Zeit habe ich mich aber informiert, dass es hier den Weg einer Ausbildung und einer Meisterweiterbildung gibt, mit der man ein ähnliches Bildungsniveau erreicht. Das Berufsumfeld ist für mich wirklich wichtig gewesen – und ich habe mein eigenes Geld verdient.

Beim Umgang mit den Kundinnen und Kunden sind Kommunikation, Einfühlungsvermögen und Verständnis sehr wichtig. Wie funktioniert das, wenn man die Sprache nicht direkt perfekt beherrscht?
Sarah:
Am Anfang war das schwierig, ganz klar. Ich hatte selbst Angst, dass ich mit einer Person alleine im Kundengespräch bin und sie einfach nicht verstehe. Deswegen habe ich immer wieder zugeschaut, mir viele Notizen gemacht, worüber geredet wird. Und dann musste ich es versuchen. Die Leute, wie sagt man, sie beißen nicht. Entweder habe ich nachgefragt oder sie haben es einfach wiederholt. Sie waren alle die ganze Zeit sehr nett zu mir und sehr verständnisvoll.

Neues Land, neue Sprache, neuer Job – wie hast du das alles geschafft in dieser kurzen Zeit?
Sarah:
Wichtig war immer das Vertrauen meiner Familie. Das hat wirklich viel geholfen, dass sie daran geglaubt haben, dass ich meinen Weg hier gehen kann und sie mir auch die Freiheit gegeben haben, alleine hier zu bleiben. Das war für alle nicht einfach. Ich war von Anfang an alleine, meine Eltern sind auch in Europa, aber aus beruflichen Gründen in Griechenland.

Was macht dir an deiner Arbeit als Hörakustikerin am meisten Spaß?
Sarah:
Ich liebe die Geschichten der Menschen. Ich könnte stundenlang dasitzen und ihnen zuhören, das ist wirklich toll. Wenn ich dann merke, dass ich die Lebensqualität der Menschen auch noch erhöhen kann, wenn sie ihre Enkel wieder hören können oder sich in Gesellschaft nicht mehr ausgeschlossen fühlen – das macht mir einfach Freude.

Gleichzeitig hast du in der Berufsschule in Lübeck auch noch deinen Freund kennengelernt, der ebenfalls Akustiker ist – das heißt, auf allen Ebenen sind die vergangenen Jahre eine Erfolgsgeschichte?
Sarah:
Definitiv, ja. Meine Ausbildung hat mein Leben verändert. Ich habe die Liebe gefunden, meinen Traumjob gefunden. Und auch die Kollegen sind meine Freunde geworden.

Noch ein paar schnelle Fragen zum Abschluss – dein Lieblingsgeräusch?
Sarah:
Wellenrauschen.

Der Hörsinn ist der wichtigste Sinn, weil…
Sarah:
…er uns mit den Menschen verbindet.

Tee oder Kaffee?
Sarah:
Kaffee.

Facebook oder Instagram?
Sarah:
Instagram.

Berge oder Meer?
Sarah:
Meer.

Musik oder Podcast?
Sarah:
Musik.

Diese drei Lieder sollte jede und jeder einmal am Tag hören oder zumindest kennen:
Sarah:
Da muss ich an meine Lieblingslieder denken: Señorita von Shawn Mendes & Camila Cabello, Waka Waka von Shakira und Hello von Adele.